Stand: 20.11.2023 11:54 Uhr
Paukenschlag um Deutschlands oberste Protestantin: Annette Kurschus tritt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurück. Auch ihr Amt als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen legt sie nieder.
Kurschus äußerte sich in einer medienöffentlichen persönlichen Erklärung in Bielefeld wie folgt:
"Die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Kirche in Deutschland sind seit Jahren der Mittelpunkt meines Lebens. Nicht nur meine Tage, auch mein ganzes Denken und Handeln sind davon bestimmt. Daran hat sich nichts geändert.
Doch in den letzten Tagen haben sich Ereignisse überschlagen. Aus einem zunächst rein lokalen und regionalen Vorgang wurde ein Fall von bundesweiter Bedeutung. Inzwischen hat sich die Lage derart zugespitzt, dass es für mich nur eine Konsequenz gibt, um Schaden von meiner Kirche abzuwenden: Ich trete von beiden kirchlichen Leitungsämtern zurück.
In der Sache bin ich mit mir im Reinen. Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Seit mehr als einer Woche wird in der Öffentlichkeit ein Konflikt geschürt. Ein Konflikt zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und mir als Amtsträgerin. Diesen Konflikt möchte ich schon deshalb auf keinen Fall austragen, weil das die Erfolge gefährden könnte, die wir in der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt gemeinsam mit Betroffenen in vielen Jahren errungen haben. Und die es weiterhin zu erringen gilt. Für die Menschen, die hier an der Arbeit sind, stehe ich. Ihnen will ich nicht mit Schlagzeilen durch einen Verbleib im Amt schaden.
Der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein und meine westfälische Landeskirche setzen sich seit Anfang dieses Jahres mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt auseinander, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen. Die Verantwortlichen arbeiten mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dabei werden die Betroffenen durch die Kirche intensiv unterstützt.
Der Verdacht richtet sich gegen einen Mann, mit dessen Familie ich lange befreundet war. Nie stand ich zu ihm in einem Dienstverhältnis, auch nicht zu meiner Zeit als Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis Siegen. Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel für Verhaltensmunster gewesen, die mich heute alarmieren würden. Ich habe allein die Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen.
Mein aufrichtiges Bemühen darum, Persönlichkeitsrechte zu schützen – auch beschuldigte Menschen und deren Familien sind und bleiben Personen mit Rechten! -, wird als mangelnde Transparenz kritisiert. Als der Versuch, meine eigene Haut zu retten oder mein kirchliches Amt zu schützen. Das ist umso bitterer, als es mir niemals – und das betone ich ausdrücklich! - niemals darum ging, mich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen, wichtige Fakten zurückzuhalten, Sachverhalte zu vertuschen oder gar einen Beschuldigten zu decken.
Inzwischen hat die Frage nach meiner Glaubwürdigkeit öffentlich eine derartige Eigendynamik entfaltet, dass eine absurde und schädliche Verschiebung eingetreten ist: Statt um die Betroffenen und deren Schutz geht es seit Tagen ausschließlich um meine Person. Das muss endlich aufhören. Es zieht die Aufmerksamkeit ab von den Betroffenen und von der Aufklärung des Unrechts, das ihnen angetan wurde. Um diese Aufklärung geht es. Diese Aufklärung gehört in den Fokus.
In aller evangelischen Freiheit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen pointiert Stellung zu nehmen, theologisch auch Unbequemes klar beim Namen zu nennen: All das wird mir durch die aktuelle Entwicklung künftig nicht mehr so möglich sein, wie es die Ämter einer Ratsvorsitzenden und einer westfälischen Präses verlangen und wie es mir selbst am Herzen liegt.
Deshalb - und nur deshalb! - trete ich heute mit sofortiger Wirkung von den Ämtern der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurück.
Dieser Schritt fällt mir nicht leicht. Ich habe ihn reiflich geprüft. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung, nicht zuletzt für mich persönlich. Gern hätte ich mir noch mehr Zeit dafür gelassen. Aber in unserer westfälischen Kirche steht Ende dieser Woche die Tagung der Landessynode an. Da muss für die weiteren Planungen Klarheit herrschen.
Sie wissen: Ich habe die Aufgaben in beiden Ämtern mit Leidenschaft und Herzblut wahrgenommen. Aus dem Evangelium heraus meine Stimme zu erheben für diejenigen, die sonst wenig zu Wort kommen: Dafür schlägt mein Herz."
Beide Ämter seien mit einem hohen Maß an Öffentlichkeit verbunden, erklärte sie. "Doch das Vertrauen der Öffentlichkeit in meine Person hat Schaden genommen", so die 60-Jährige. Die Entscheidung sei ihr nicht leichtgefallen. Doch durch den Vertrauensverlust habe sie nicht mehr die Aufklärung zum Thema sexuelle Gewalt in der Evangelischen Kirche voranbringen können.
Die Kritik an der EKD-Vorsitzenden, die 20 Millionen evangelische Christinnen und Christen vertritt, war in den vergangenen Tagen gewachsen. Die Siegener Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren Verdachtsfällen gegen einen früheren Kirchenmitarbeiter, der in den 1990er-Jahren - genau wie Kurschus - im Kirchenkreis Siegen tätig war. Der Beschuldigte soll über Jahre hinweg junge Männer sexuell bedrängt haben.
Nach Recherchen der "Siegener Zeitung" soll Kurschus als Gemeindepfarrerin in Siegen schon Ende der 1990er-Jahre über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen einen Kirchenmitarbeiter informiert gewesen sein, diese aber nicht gemeldet haben. Die Zeitung hatte die Aussage zweier Männer zitiert, die Kurschus in den 1990er-Jahren "im Detail über die Missbrauchsvorwürfe informiert haben wollen". Beide bekräftigten ihre Aussagen demnach mit eidesstattlichen Versicherungen.
Detlev Zander, einer der Betroffenen-Sprecher im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD, hatte deshalb am Wochenende den Rücktritt von Kurschus gefordert. "Ihre Salamitaktik, dass sie sich nur scheibchenweise dazu äußert, ist schädlich für alle, die sich in der evangelischen Kirche ernsthaft um Aufklärung bemühen", sagte Zander dem "Spiegel" und fügte hinzu: "Die Betroffenen sind extrem verärgert."
Kurschus wies in ihrer heutigen Erklärung erneut die Darstellung zurück, sie habe damals etwas vertuscht: "Ich habe allein Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen." Anfang 2023 sei eine anonyme Anzeige gegen den Beschuldigten eingegangen. "Vorher hatte ich keine Kenntnis von Taten sexualisierter Gewalt durch diese Person", betonte sie. "In der Sache bin ich mit mir im Reinen", sagte die 60-Jährige. "Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt." Inzwischen habe sich aber die öffentliche Debatte um den Vorgang derart zugespitzt, dass sie keine Alternative zum Rücktritt sehe.
Kurschus war seit 2012 Präses und damit leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen. 2021 wurde sie zusätzlich an die Spitze des EKD-Rates gewählt. Die EKD vertritt etwa 20 reformierte und unierte Landeskirchen mit etwa 13.000 Kirchengemeinden. Kurschus ist nach Margot Käßmann die zweite Frau an der EKD-Spitze, die ihre leitenden Kirchenämter vorzeitig abgibt. Käßmann trat im Februar 2010 als Ratsvorsitzende und Hannoversche Landesbischöfin zurück, nachdem sie alkoholisiert Auto gefahren und von der Polizei gestoppt worden war.
(aus: tagesschau.de / evangelisch.de)
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