Von Rauke Xenia Bornefeld,
zuerst erschienen in der Aachener Zeitung am 03.04.2025
„Forsythien sind das Schlimmste.“ Petra Jentgens aus Zweifall lässt kein gutes Haar an dem beliebten Blütenstrauch, der gerade jetzt Gärten und Hecken in ein sattes Gelb taucht. Aber Insekten sind dort trotz der zahlreichen Blüten nicht zu finden. Die kleinen, sechsbeinigen Krabbler – mit oder ohne Flügel – sollen indes einen besonderen Rückzugsort in Zweifall bekommen. Seit anderthalb Jahren baut Jentgens zusammen mit gut einem Dutzend Mitstreitern einen Teil des Kirchgartens der evangelischen Kirche in Zweifall in einen Biodiversitätsgarten um. Mit monatlicher behutsamer Pflege schaffen sie Lebensraum und Nahrungsquellen für Insekten und Vögel – „was auch wieder gut ist für den Menschen“, wie Norbert Franzen meint, der viel Naturschutz-Wissen in das Team einbringt.
Die Gemeinde Kornelimünster-Zweifall überließ nach dem Zweiten Weltkrieg ankommenden Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands neben Grundstücken für Wohnhäuser auch das Land hinter Kirche und Pastorat an der Apfelhofstraße, damit sie sich über Gemüseanbau selbst versorgen konnten.
Bis 2023 wuchsen also an gleicher Stelle noch Rotkohl, Rote Beete und Radieschen, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren und Johannesbeeren. Rasenflächen und Zierbüsche, wie zum Beispiel Forsythien und Zierquitten, haben über die Jahre aber zugenommen. Denn Möhren ziehen, Zwiebeln stecken und Bohnen legen kamen zusehends aus der Mode. Einige der ehemaligen Pächter hatten über die Jahre den Gemüseanbau ganz aufgegeben, andere den arbeitsintensiven Anteil deutlich reduziert und sich stattdessen Sitzecken auf grünem Rasen angelegt.
„Es waren sehr aufgeräumte Gärten. Totholz- und Wildkräuterecken gab es nicht“, erinnert sich Jentgens an den Zustand bei der Übernahme, als der letzte Pachtvertrag für die Fläche auslief. Ganz anders heute: Himbeersträucher, ein großer Rosmarinbusch und kleine Erdbeerableger erinnern zwar noch an die Nutzgarten-Vergangenheit, aber „aufgeräumt“ in einem klassischen Sinn ist hier nichts mehr. Es darf wachsen – zumindest das allermeiste von dem, was sich selbst verbreitet. „Die Brombeeren haben wir tatsächlich ganz herausgenommen und auch weggebracht. Sonst hat man irgendwann nur noch Brombeeren. Und wir haben viel Löwenzahn ausgestochen“, berichtet Monika Heinrichs von vergangenen Einsätzen.
Die Fläche ganz sich selbst zu überlassen, ist nämlich für die Artenvielfalt auch nicht förderlich. „Es ist ein menschengemachtes Biotop. Aber solche Gärten sind Oasen in der aufgeräumten Landschaft um uns herum“, erklärt Franzen, der viel Erfahrung mit Artenvielfalt und -armut im Arbeitskreis Naturschutz, einem Zusammenschluss von Naturfreunden in Stolberg und Eschweiler, gesammelt hat. In Zweifall gilt die Devise: Erst einmal fast nichts herausnehmen und behutsam in ein riesiges Insektenhotel samt Bienenweide umwandeln.
Dafür hat das Team vom Biodiversitätsgarten bereits eine Kirschpflaume, eine Kornelkirsche und Weißdornbüsche gepflanzt. „Im Weißdorn kommen bis zu 163 Insektenarten vor“, weiß Franzen zu berichten. Er ist also so ungefähr das Gegenteil der Forsythie. Wein und Hopfen sollen den in die Jahre gekommenen Pavillon der bisherigen Pächter in eine grüne Oase für Tiere und Menschen verwandeln.
Gerade entsteht außerdem eine Benjeshecke – zwischen in die Erde gesteckte Stöcke werden kleinere Äste und Reisig sowie trockenes Gras aufgeschichtet. Sie ist ein Schutzraum für alle möglichen Insekten und bietet beste Bedingungen für angeflogene oder von Vögeln hergebrachte Samen. Nach und nach entsteht in dem vermeintlich nutzlosen Gartenresten eine lebendige Hecke. Das Konzept geht auf Heinrich und Hermann Benjes zurück. „Es ist eine geniale Möglichkeit, den Garten ‚aufzuräumen‘, ohne ihn auszuräumen“, weiß Franzen.
Das Erscheinungsbild des Biodiversitätsgarten, das gibt Jentgens unumwunden zu, „war früher ordentlicher“. Das hat die Zweifallerin, engagiertes Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Kornelimünster-Zweifall, schon von einigen Dorfbewohnern mit kritischem Unterton gehört. „Aber genau das wollen wir in den Köpfen verändern – auch als Kirchengemeinde. Es geht hier nicht um den Menschen, vielmehr müssen wir uns in einen Käfer hineinversetzen und überlegen, was für ihn das Richtige ist. 80 Prozent der Insekten sind bereits verschwunden“, mahnt sie mehr Unordnung an.
Pfarrer Rolf Schopen sieht auch den Mehrwert für Gemeinde und Dorf: „Unsere Verantwortung für die Schöpfung tragen wir zum Beispiel durch eine energetische Ertüchtigung des Gemeindehauses in Kornelimünster, aber eben auch durch diesen Garten. Wir können hier zeigen, dass Garten auch anders geht. Zugleich wird hier erlebbar, dass Gemeinde Gemeinschaft ist.“
Denn, sobald das Mittagsläuten von der kleinen Zweifaller Kirche herüberschallt, wandern die Gartengeräte wieder in den Schuppen. Sie werden nach zwei Stunden intensiver Gemeinschaftsarbeit getauscht gegen gefüllte Kaffeebecher und Plätzchen, natürlich in geselliger Runde. Diese Runde ist offen für Interessierte und neue Mitstreiter – mit und ohne Gartenwissen. „Auch ich lerne hier nur“, sagt Jentgens. Auch einen milderen Blick auf die gelb leuchtenden Forsythien. Sie dürfen erst einmal stehen bleiben, bis die Natur sie durch etwas Neues ersetzt.
Gartentag in Zweifall
Jeden ersten Samstag im Monat trifft sich das Team des Biodiversitätsgarten der evangelischen Kirchengemeinde Kornelimünster-Zweifall im Zweifaller Kirchgarten, Apfelhofstraße, von 10 bis 12 Uhr. Jeder und jede mit Interesse, den Garten in ein artenreiches Biotop zu verwandeln, ist herzlich willkommen. Vorwissen ist nicht erforderlich. Der nächste Termin ist am 7. Juni. Weitere Informationen gibt Petra Jentgens.




